Dienstag, 2. Juli 2013

TICKETHANDEL 

Katharina Strohmeyer versuchte das Schlimmste zu verhindern. (Foto: Olli All, Facebook)

Derzeit genieße ich die fußballlose Sommerpause. Hin und wieder schrecken mich aber Nachrichten aus der Welt des runden Leders auf. Die zur Jahreshauptversammlung des FC Schalke 04 am Samstag gehörten dazu.

In den sozialen Netzwerken wurden die Beiträge meiner Facebook-Freundin Katharina Strohmeyer stark debattiert. Unter anderem schrieb sie gestern vorgestern, emotional aufgeladen:

„Noch 2 Stunden, dann wird auf Schalke der Ticket-Schwarzmarkt für immer und ewig legalisiert! In den vergangenen Wochen habe ich tiefe Einblicke in die Entscheidungsprozesse des FC Schalke 04 und den Umgang der Vereinsführung mit den Mitgliedern bekommen. Ich bin erschüttert. Aus eigener Erfahrung kann ich sagen: Auf Schalke wird deutlich mehr gelogen, als in der Politik! Weil zur Jahreshauptversammlung kein einziger der etwa 35 Anträge zugelassen wurde, habe ich einen "wasserdichten" Eilantrag gestellt. Auch dieser sollte abgeschmettert werden. Ich bin auf die Bühne und habe den Antrag (mit Unterstützung von Frank Zellin) vor etwa 9.000 Mitglieder zur Abstimmung gebracht. Das Ergebnis: Ca. 80 Prozent der Mitglieder wollen, dass Die Vereinsführung den Vertrag mit Viagogo kippt – und zwar noch heute. Was macht der Vorstand? Sitzt das aus. Was macht die Presse? Schweigt zu der Abstimmung. In zwei Stunden sitzen die Schwarzmarkt-Ganoven bei Sekt und Nutten zusammen – von unserem Geld. Und was mache ich? Ich sitze zu Hause, kann jetzt nichts mehr tun und bekomme im Minutentakt Nachrichten von "wildfremden" Schalkern, die sich bei mir für meine spontane Rede bedanken. Dafür, dass endlich mal einer den Arsch in der Buchse hatte, den Herren auf dem Podium zu sagen, dass die Vereinssatzung auch für Vorstand und Aufsichtsrat gilt und nicht nur für das Fußvolk. Liebe Schalker, danke für Eure Unterstützung! Nach jeder neuen Nachricht, wischt mein Freund mir die Tränen aus dem Gesicht. Ich bin tieftraurig. Mein blau-weißes Herz, es weint ...“

Was ist denn da los?

Schalke 04 wird die nächsten drei Jahre mit der Online-Ticketbörse Viagogo zusammenarbeiten. Der Vereinsführung um Aufsichtsratschef Clemens Tönnies sind die angebotenen 1,2 Millionen Euro jährlich für die Kooperation zu verlockend. Ein Großteil der Vereinsmitglieder möchte dies jedoch verhindern. Zu mies ist das Image von Viagogo, zu groß sind die Befürchtungen, dass nun die Ticketpreise beim Revierclub explodieren.

Wie Viagogo arbeitet und welche Erfahrungen man macht, wenn man den Service selbst nutzt, hat Stefan Merx neulich – und zu Recht vielbeachtet – notiert.

Viagogo argumentiert pharisäerhaft, man bringe einfach Angebot und Nachfrage zusammen und biete seinen Kunden ein einmaliges Erlebnis. Meist sind die Tickets aber nur einmalig teuer. So sollen beispielsweise am Tag vor dem diesjährigen Champions-League-Finale in London noch Tickets für mehr als 25.000 Euro (inklusive einem Essen in der VIP-Lounge) den Besitzer gewechselt haben.

Freilich: Je teurer die Eintrittskarte, desto mehr verdient Viagogo. Die Plattform nimmt vom Verkäufer zehn und vom Ankäufer 15 Prozent des Preises. Jeweils, wohlgemerkt!

Dem wollten die Vereinsmitglieder von Schalke 04 einen Riegel vorschieben. Was bietet sich da besser als die Jahreshauptversammlung an? Antrag stellen, leidenschaftlich diskutieren, abstimmen und fertig.

Denkste! Mit Verfahrenstricks versuchten die vom Schalke-Vorstand engagierten Top-Juristen einer renommierten Essener Kanzlei den Fan-Aufstand zu verhindern. Zig Anträge wurden erst gar nicht zur Abstimmung zugelassen, die Diskussion darüber im Keime erstickt. Erst als Frank Zellin und Katharina Strohmeyer den in der Satzung vorgesehenen Eilantrag stellten, gab sich der Vorstand vermeintlich geschlagen.

„Eilantrag zur Jahreshauptversammlung am 29. Juni 2013:
Die Jahreshauptversammlung möge über das Thema „Bekämpfung des Ticketschwarzmarkts“ ergebnisoffen diskutieren. Anschließend wird ein Meinungsbild im Wege einer rechtsfolgenlosen Probeabstimmung darüber eingeholt, ob der Verein an dem Vertragsverhältnis mit Viagogo festhalten soll oder ob das Vertragsverhältnis noch vor Inkrafttreten wieder rückgängig gemacht werden soll.
Begründung: Das Thema „Bekämpfung des Ticketschwarzmarkts“ ist für die Mitglieder des FC Schalke 04 von grundsätzlicher Bedeutung. Wer Vereinsmitglied ist, hat auch ein Interesse daran, die Spiele der ersten Mannschaft im Stadion mitzuerleben. Dies kann er nur, wenn Karten zu bezahlbaren Preisen erhältlich sind. Wird jedoch dem Ticketschwarzmarkt kein Einhalt geboten, steigen die Eintrittspreise in astronomische Höhen. Darüber hinaus hat jedes Mitglied auch ein besonderes Interesse an einem sicheren Stadionerlebnis. Bietet ein offener Schwarzmarkt aber jedem die Möglichkeit, Karten für Schalke-Fanblocks zu erwerben, führt dies unweigerlich zu einer Durchmischung der Anhänger verschiedener Vereine und somit zu einem erheblichen Sicherheitsrisiko.
Vor knapp zwei Wochen hat sich die Rechtslage hinsichtlich der Möglichkeiten zur Bekämpfung des Ticketschwarzmarkts massiv verschoben. Der Hamburger SV hatte gerichtlich durchsetzen wollen, dass der Online-Ticketanbieter Seatwave keine Karten für HSV-Spiele verkaufen darf, da er diesen als Schwarzmarkthändler einstuft. Das Oberlandesgericht Hamburg hat jedoch in letzter Instanz entschieden, dass der HSV hinnehmen muss, dass HSV-Tickets auf dem Schwarzmarkt angeboten und verkauft. Die Begründung der Richter: Der Hamburger SV hatte zuvor einen Vertrag mit der Ticketplattform Viagogo abgeschlossen und damit selbst eine Abkehr von der Bekämpfung des Schwarzmarktes vollzogen. (Der zugrundeliegende Rechtsgrundsatz lautet „venire contra factum proprium“ oder auf deutsch „Zuwiderhandlung gegen das eigene frühere Verhalten“).
Dieses Urteil ist entsprechend auch auf den FC Schalke 04 anwendbar. In der Vergangenheit hat der Verein den Schwarzmarkt stets mit allen erdenklichen Mitteln bekämpft. Und zwar den Schwarzmarkt „im großen Stil“ im Internet ebenso, wie den Einzelkartenverkäufer vor dem Stadion. Das Ziel war stets, die Sicherheit der Fans im Stadion zu gewährleisten. Da aber auch Schalke ab dem 1.7.2013 einen Vertrag mit der Ticketplattform Viagogo hat, sind dem Verein bei der Bekämpfung des Schwarzmarkts die Hände gebunden. Es steht zu befürchten, dass zum einen Ticketpreise explodieren, zum anderen massive Sicherheitslücken entstehen.
Der Jahreshauptversammlung ist deshalb Gelegenheit zu geben, unter diesem Eindruck der neuen Rechtslage, über die Möglichkeiten der Schwarzmarkt-Bekämpfung zu diskutieren. Im Wege einer rechtsfolgenlosen Probeabstimmung soll die Meinung der Mitgliederversammlung eingeholt werden, die dem Vorstand als bloße Empfehlung für das weitere Vorgehen mit an die Hand gegeben wird. Ob der Vorstand sich an dieser Empfehlung orientiert, bleibt ihm schließlich selbst überlassen.“

Rund 80 Prozent der Mitglieder gaben dem Antrag ihre Zustimmung; eine überwältigende Mehrheit. Aber was macht der Vorstand? Er ignoriert das klare Signal seiner Mitgliederschaft und hält am Viagogo-Deal fest. Die Frage muss schon gestellt werden: In was für einer (Vereins-)Demokratie leben wir, wenn der offensichtliche Mehrheitswunsch so niedergeschmettert wird?

Nochmal zum Kern des Problems mit Viagogo aus meiner Sicht. Es geht nicht nur darum, dass die Tickets demnächst für viele Fans teurer (und somit für viele unerschwinglich) werden. Viagogo hetzt die Fans quasi gegeneinander auf. In Zeiten voller Stadien wird an die niedrigen Instinkte der glücklichen Ticketbesitzer (Dauerkarten-Inhaber oder welche, die Losglück hatten) appelliert: Rufe Fantasiepreise auf, tausche dein Ticket gegen einen Batzen Kohle!

Auch früher hat man Tickets getauscht. Der eine oder andere hat mal einen kleinen Aufpreis für die Organisation draufgeschlagen. Unter den wahren Fans gab es aber eine Art Ehrenkodex, an den sich die meisten hielten: Kein Schwarzhandel unter Fans! Jetzt, da sich Ver- und Ankäufer nur noch online treffen, wird dieser Kodex ausgehöhlt. Für mich ist das die moderne Form von ... – das schreibe ich aus juristischen Gründen hier lieber nicht.

Ich bin kein Schalke-Fan und will das Problem nicht allein auf diesen Verein abwälzen. Aber jüngst hat Branchenprimus Bayern München, der erste Verein der in Deutschland mit Viagogo kooperierte, seinen Fehler eingesehen und lässt den Vertrag mit der Ticketbörse zum Ende der neuen Saison auslaufen. Der HSV hat seinen Vertrag gar gekündigt. Heute kann sich niemand mehr hinstellen und Viagogo als seriösen Partner verkaufen.

Die Entscheidung für die 3,6 Millionen Euro (in den drei Jahren) wird sich für Schalke 04 negativ auswirken. Das Image des Vereins nach außen und der Frieden nach innen hat durch die Diskussionen am Wochenende nicht unerheblichen Schaden genommen. Wohlgemerkt ein Verein, der sonst so stolz auf seine Arbeiterherkunft ist.

Und noch etwas: Wie aufgeheizt die Stimmung vor Ort war, zeigt dieser Videoschnipsel:


Nachtrag (05.07.2013): Das war übrigens mein bisher meistgeklickter Artikel aller Zeiten. Das liegt wohl am Thema und an der Weiterverbreitung. So hatten sowohl die Presseschau von Fokus Fußball als auch die der 11Freunde mich verlinkt. Bei ersterer wurde ich tags darauf sogar zum Besten Link des Vortages ernannt. Auch der königsblog brachte einen Hinweis. Dazu kamen Hinweise und Retweets bei Twitter. Danke an alle!

Nachtrag (07.07.2013): Nachdem die 11Freunde auf den Text aufmerksam wurden, interviewten sie Katharina Strohmeyer.

Nachtrag (09.07.2013): Alle Viagogo-Gegner konnten es heute kaum glauben: Schalke 04 löst die Verbindung zu Viagogo fristlos. Da bekam Katharina Strohmeyer auch gleich ihr zweites Interview. Was Social Media alles bewegen kann. (-:


tl;dr: Der Streit um die umstrittene Ticketplattform Viagogo eskalierte am Wochenende bei der Jahreshauptversammlung des FC Schalke 04.


1 Kommentar:

  1. Liebe Fußball-Romantiker,
    jetzt habt doch mal ein wenig Verständnis für den Frischfleisch-Clemens. Er leitet schließlich ein Wirtschaftsunternehmen, seinen S04, (leider) keinen Verein. Da wird vom Präsi und dem Hotte ne einfache Berechnung durchgeführt (nicht ...fürth! Der Name der Nürnberger Westvorstadt wird von mir nicht erwähnt! NIE!):
    Wieviel Fans kostet der Vianogo-Deal? Viagohome zahlt mehr, also ist es ein gutes Geschäft für Schalke, da kann man die Tradition schon mal in den Kohlenkeller sperren. Es zählt eben nur das Geld und wir Fans sind schmückendes aber unwichtiges Beiwerk!

    Was sagt eigentlich die DFl zu der ganzen Angelegenheit? Macht die hier den Blatter oder entscheidet sie tatsächlich mal pro Fan? Moral not money!

    Grüße aus Nürnberg!
    Bernd

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