Sonntag, 30. Juni 2013


Kraft statt Steinbrück?
(Foto: hannelore-kraft.de) 
Seit Wochen mache ich mir Gedanken um die alte Tante Es-Pe-De. Das Werberherz in mir fühlt sich ob der deprimierenden Umfragewerte herausgefordert: Was müsste man im Willy-Brandt-Haus jetzt tun, um das Ruder noch herumzureißen oder zumindest den Abstand auf die Union erträglicher zu gestalten? Egal welche Strategie-Idee mir einfällt, sofort gibt’s immer ein Gegenargument: Peer Steinbrück. Deshalb hilft wohl nur eins. Austausch des Kanzlerkandidaten. Jetzt. Sofort.

Wie ist die Ausgangslage?

Die Lage der SPD ist hoffnungslos. Das sagen – hinter vorgehaltener Hand – mittlerweile auch SPD-Wahlkämpfer. Zu gut ist die wirtschaftliche Lage unseres Landes, zu mies das Auftreten von Peer Steinbrück, zu gut die persönlichen Werte von Angela Merkel, zu mies die Aussichten, noch überhaupt ein Thema zu finden, das die Kanzlerin nicht handstreichartig okkupiert.

Kann Steinbrück nicht wie Gerhard Schröder 2002 und 2005 noch aufholen?

Hihi, was für eine blöde Frage. Dazu bräuchte Steinbrück den Amtsbonus. Als Oppositionsführer hat er nicht die Chance, Themen so einfach wie ein Regierungschef zu setzen. Noch schlimmer: Bis heute fehlt ihm eine durchschlagende Botschaft. Das wird in der Sommerpause auch nix mehr werden.

War Steinbrück der falsche Kandidat?

Natürlich. Das war eigentlich immer schon klar. Die Wähler, die die SPD bei den letzten beiden Bundestagswahlen ins Lager der Nichtwähler verloren hatte, sind eher links eingestellt. Einem wirtschaftsliberalen Kandidaten wie Steinbrück wird es nicht gelingen, diese wieder einzufangen. Parteichef Sigmar Gabriel oder NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft hätten dagegen mit dezidiert linker Rhetorik auf diese Wählerschichten zugehen können. Dem Millionär und Ex-Finanzminister Steinbrück aber würde man beispielsweise ein Wettern gegen die Bankenrettung niemals abnehmen.

Wäre ein Kanzlerkandidaten-Austausch glaubwürdig?

Schwierig. Aber was hat die SPD noch zu verlieren? Eine wochenlange Diskussion, ob man Steinbrück auswechseln sollte, wäre natürlich verheerend. Wenn, dann müsste es ganz schnell gehen. Rücktritt – begründet eventuell mit gesundheitlichen Problemen – und sofortiger Ruf nach Hannelore Kraft.

Warum Hannelore Kraft?

Mit fällt beim besten Willen kein anderer Kandidat ein, der diesen Job machen könnte. Sie wirkt sympathisch und unprätentiös (zumindest sind mir keine Allüren bekannt), hat schon Wahlen gewonnen (im Gegensatz zu Gabriel, Steinmeier und Steinbrück) und ist noch immer recht unbekannt auf der bundespolitischen Bühne – ein echter Vorteil. Kraft würde das Neue verkörpern – in der SPD und im Wahlkampf 2013.

Wie würden die Medien reagieren?

Für die Journalisten ist dieser Wahlkampf eine Katastrophe. Steht mit Merkel die Wahlgewinnerin quasi fest, verkaufen sich politische Titel kaum. Dramatische Rücktrittsszenen um den gefallenen Kanzlerkandidaten und die Inthronisierung einer frischen Ministerpräsidentin aus dem bevölkerungsreichsten Bundesland – das wäre der Stoff, nach dem sich viele Hauptstadtjournalisten die Finger lecken (würden). Ein Duell Frau gegen Frau hat es in der bundesrepublikanischen Geschichte noch nie gegeben. Programmatisch würde sich die SPD sicherlich wenig ändern, aber mit Homestorys und anderen menschelnden Berichten könnte Kraft zumindest in puncto Sympathie Steinbrück schnell vergessen machen.

Hat Kraft nicht deutlich erklärt, in Düsseldorf bleiben zu wollen?

Das Thema wird in wenigen Tagen durch sein. Wird der Ruf inner- und außerhalb der SPD nach ihr groß, wird sie argumentieren, sie habe sich nicht selbst ins Spiel gebracht und müsse ihrer Partei in dieser Situation helfen. Überhaupt wird das Thema außerhalb NRWs nicht groß debattiert werden. Und: Seit Konrad Adenauer hat es keinen Nordrhein-Westfalen mehr im Amt des Bundeskanzlers gegeben. Ich denke eher, dass die Menschen an Rhein und Ruhr stolz wären, wenn eine von ihnen nach dem höchsten politischen Amte im Staate greift.

Wofür steht Hannelore Kraft?

Da wird es richtig interessant. Nach ihrer ersten Wahl in NRW regierte sie ein knappes Jahr mit einer Minderheitsregierung, ihrer sogenannten Koalition der Einladung. Sie stützte sich ausdrücklich auch auf die Linkspartei im Landtag. Sollten die Mehrheitsverhältnisse nach dem 22. September keine klare Mehrheit im Bundestag zulassen, würde Hannelore Kraft – zur Freude der SPD-Linken – auch hier einen rot-rot-grünen Flirt wagen. Wetten, dass?!

Ist ein Austausch des Kanzlerkandidaten überhaupt noch rechtlich möglich?

Klar, theoretisch sogar noch am Wahltag. Der Kanzlerkandidat ist eine reine Parteien- und Medienerfindung, um den Wahlkampf zu personalisieren. Hannelore Kraft könnte zwar nicht mehr in den Bundestag einziehen (weil die Kandidatenaufstellung der SPD in NRW bereits durch ist), jedoch von diesem zur Kanzlerin gewählt werden. Im Gegensatz zum NRW-Landesparlament muss der Regierungschef nämlich gar nicht Bundestagsmitglied sein.

Und wie realistisch ist das Szenario Kraft für Steinbrück?

Nicht sehr wahrscheinlich, in der Tat. Aber die rennen sehenden Auges in die Wahlkatastrophe. Ob SPD-Chef Gabriel und die vielen Kandidaten in den Wahlkreisen, die um ihr Mandat bangen, sich das alles weiterhin nur stoisch anschauen?


tl;dr: Es gibt für die SPD nur noch eine Chance, die Bundestagswahl nicht völlig in den Sand zu setzen. Der heißt: Kraft statt Steinbrück.


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