Montag, 9. Juli 2012

MEDIEN 

Sommerinterviews sind nun wirklich selten weltbewegend. Überhaupt Politikerinterviews. Naja. Ausnahmen wie das mittlerweile legendäre „Das dürfen Sie alles senden“ von Bayerns Ministerpräsidenten Horst Seehofer neulich im ZDF bestätigen eher die Regel.

Bettina „150 Euro pro Nacht“ Schausten und Joachim Gauck.
Warum ich mir heute gestern die Zeit genommen habe, 20 Minuten Bettina Schausten im ZDF-Gespräch mit Bundespräsident Joachim Gauck anzusehen? Ich weiß es gar nicht so genau. Vielleicht war ich einfach neugierig, wie sich der neue erste Mann im Staate bei dieser für ihn gewiss eher lästigen Pflichtaufgabe schlagen würde.

Wenn du das Interview noch nicht gesehen hat, solltest du das jetzt tun, bevor du weiter liest. Einfach nur, damit du dir deine Meinung möglichst unbeeinflusst bilden kannst. (Hier geht's zum Interview.)

Fertig? Danke. Wie vermutet, bot auch dieses Interview nicht wirklich Revolutionäres. Was blieb hängen? Gauck ist ein eloquenter älterer Herr, der mit sich offenbar im Reinen ist. Hier und da war es eine nette Plauderei. Bettina Schausten hatte sich wohl auch kaum vorgenommen, Joachim Gauck in die Enge zu treiben. Dafür bietet er ja auch derzeit kaum Angriffsfläche.

Interessant war für mich höchstens noch, was die lieben Kollegen der schreibenden Zunft aus diesen 20 Minuten herausziehen würden. Also surfe ich im Schnelldurchgang die Webseiten der großen Medienhäuser ab. Ein kurzer Blick auf die Schlagzeilen verschlägt mir dann die Sprache.

Laut Spiegel Online“ ermahnte Gauck Bundeskanzlerin Angela Merkel:


Die Bild konnte Forderungen erkennen:


Auch die Financial Times Deutschland“ sieht Merkel in einer Bringeschuld:


Das Hamburger Abendblatt“ erkennt Kritik von Gauck an Merkel:


Die Süddeutsche Zeitung sieht Merkel ebenfalls ermahnt:


Und die Welt, aber das hatten wir ja schon ...


Es ist müßig, erklären zu wollen, warum nahezu alle Medienhäuser von rechts bis links in die gleiche Kerbe schlagen. Auf der einen Seite schreiben auch Journalisten häufiger voneinander ab. Oder zumindest schreiben sie die ihnen vorliegenden Agenturmeldungen um. Dass an einem sommerlichen Sonntagnachmittag die Redaktionen nicht voll besetzt sind, ist auch menschlich verständlich, aber keine Entschuldigung für journalistischen Einheitsbrei.

Oder aber haben sich die Journalisten das Interview gar nicht richtig angehört und wollten nur ihre Vorurteile bestätigt wissen? Wir erinnern uns: Die Nominierung von Gauck zum gemeinsamen Bundespräsidentenkandidaten wurde von den meisten als klare Niederlage Merkels analysiert. Es wurde ein Gegensatz zwischen dem Menschenfreund (Gauck), dem die Herzen der Massen zufliegen, und der kühlen Technokratin der Macht (Merkel) hinauf beschworen.

Dieser Kontrast zieht sich seitdem wie ein roter Faden durch die meisten Artikel und Kommentare, wenn das Verhältnis der Beiden zueinander untersucht wird. Dabei betonen sowohl Präsident wie auch Kanzlerin ständig, dass sie fair zusammenarbeiten und sich gegenseitig wirklich schätzen. Zu schade aber auch für den Politik-Boulevard.

Die oben genannten Schlagzeilen sind sicherlich nicht gänzlich falsch, verzerren aber das Bild gewaltig. Und das kritisiere ich. In dem gesamten 20-Minuten-Interview tauchen nur  wenn man es wirklich gut mit den Journalisten meint  zwei kleine Sätze auf, die man als Kritik gegenüber Merkel verstehen könnte. Eigentlich nimmt Gauck diese Kritik auch sofort wieder zurück. Er äußert vielmehr Verständnis für die Schwierigkeiten bei der Vermittlung komplizierter Sachverhalte durch die Politik (ausdrücklich nennt Gauck hier die gesamte Politik und nicht Merkel).

An anderen Stellen geht er wirklich deutlich ins Gericht – aber nicht mit Merkel. So kritisiert er beispielsweise Bürger und Populisten, die Sachverhalte zu sehr vereinfachen (Das Geld wird den Banken in den Rachen geschmissen“). Zum Ende des Interviews wird er noch einmal grundsätzlich. Hier fallen dann die Sätze, aus denen ich die Überschriften konzipiert hätte.
Ich könnte nicht, was sie kann und was sie gerade leistet. Und, es ist einfach so: Unsere Landsleute neigen manchmal dazu, die Wirklichkeit mit einem gedachten Ideal zu vergleichen, sowohl die Gesellschaft, als auch einzelne Personen. Wenn wir die handelnden Personen einmal vergleichen mit dem Vergleichbaren, also mit anderen Führungskräften, die uns in Europa und der Welt begegnen, dann kriegen wir wirklich einen neuen und realistischen Blick auf unser Führungspersonal. Und dann wächst auch der Respekt.
Und für die, die es immer noch nicht verstanden haben, schickt er noch einen allerletzten Satz hinterher: Ich habe gerade über Frau Merkel gesprochen.


tl;drJoachim Gauck lobt im ZDF-Sommerinterview Angela Merkel überschwänglich. Die Berichterstattung der meisten Medien zeichnet davon aber ein ganz anderes Bild.


5 Kommentare:

  1. Also ich finde ja schon, dass es immer mal wieder absolut nötig ist, "die Wirklichkeit mit einem gedachten Ideal zu vergleichen".
    Wenn man das nicht tut, bekommt man nämlich irgendwann eine Regierung, die wie ein kopfloses Huhn herumrennt bei dem fortwährenden Versuch, echte oder vermeintliche Brände zu löschen und dazu ein Parlament, das kein Interesse mehr hat oder sich nicht mehr traut, überhaupt noch über irgendwas zu debattieren. Beispiel gefällig? http://www.welt.de/debatte/kommentare/article108124972/Bundestag-verkauft-Buergerrechte-in-nur-57-Sekunden.html
    "Ganz normaler Vorgang" wirst du wahrscheinlich sagen. "Umso schlimmer" werde ich antworten.
    Aber in einem Punkt sind wir uns dann doch einig: Im Vergleich zu der Euro-"Rettungspolitik" ist diese Entscheidung Pipifax. Die Lesungs-Show im Bundestag hat dort auch etwas länger gedauert, aber letztendlich hat sich dann doch die vorherrschende Überzeugung der Alternativlosigkeit durchgesetzt und dem Bundestag blieb scheinbar nichts anderes übrig als wieder mal alles abzunicken. Warum das der absolute Wahnsinn ist, was da läuft, das muss ich nicht wiederholen. Das kann man gut an anderer Stelle nachlesen.
    Mein Punkt ist der: Wenn wir aufhören, "die Wirklichkeit mit einem gedachten Ideal zu vergleichen", dann hören wir auf, solche Kleinigkeiten wie die Gewaltenteilung, den Parlamentarismus und letztendlich die demokratische Mitbestimmung einzufordern.
    Und um noch den Bogen zu kriegen zu deiner These - meine Überschrift wäre wahrscheinlich: "Gauch lässt Merkel Hemdsärmeligkeit größtenteils durchgehen"

    AntwortenLöschen
  2. Ich glaube, du interpretierst viel mehr in die Worte hinein als Gauck wollte. Gauck meinte wohl, dass wir Wirklichkeit und Realität nicht verwechseln dürfen, vor allem von Menschen nichts Übermenschliches verlangen dürfen.

    Grundsätzlich kann ich mich deiner Forderung anschließen. Debatte muss sein, der Parlamentarismus muss gestärkt werden. Nur darf die Rolle der Medien dabei nicht ganz außer Acht gelassen werden. Wenn diese nicht umfassend und ausgewogen berichten, wird es für die Politik zumindest nicht einfacher.

    Spannend wäre zu analysieren, warum Politik manchmal der Debatte Leid ist. Da gibt es sicherlich mehrere Gründe für. Ein neues Thema, vielleicht setze ich mich heute Abend mal dazu hin. Das Meldegesetz wird ja offenbar auch schon wieder einkassiert ...

    AntwortenLöschen
  3. Mag sein, aber genau das ist doch ein sehr wichtiger Punkt: Können wir uns leisten, dass die Kanzlerin zusammen mit ein paar Sherpas um 4 Uhr nachts - meist Sonntags nach durchgearbeiteten Wochenenden - internationale Verpflichtungen eingehen, die potentiell viele viele Milliarden deutsches Steuergeld kosten?
    Selbst wenn es nicht gegen das Prinzip der Gewaltenteilung verstöße (wegen der Budgethoheit des BTs), so ist es doch zumindest höchst fahrlässig, einer kleinen Gruppe von übermüdeten und überarbeiteten Menschen den Schlüssel zur Schatzkammer zu überlassen und zu hoffen, dass sie sich von den anderen Gruppen übermüdeter und überarbeiteter Menschen nicht über den Tisch ziehen lassen.
    Dabei werden dann mir nichts dir nichts Vertragswerke unterschrieben, die in den folgenden Wochen überhaupt erst mal von der heimischen Presse gesichtet werden müssen, damit man überhaupt weiß, was denn da nun schon wieder beschlossen worden ist.
    Gerade weil kein Mensch übermenschlich ist, sollten wir doch darf bestehen, dass solch weitreichende Beschlüsse erst nach ausführlicher parlamentarischer und außerparlamentarischer Debatte getroffen werden.

    Ich stimme dir jedoch vollkommen zu, wenn du anmerkst, dass die Rolle der Medien auch eine Betrachtung wert ist. Ich finde auch, dass die vierte Macht vor allem im Bereich Europapolitik und allgemein beim Thema Finanzkrise viel zu lange tief und fest geschlafen hat.
    Mittlerweile haben viele Finanzredakteure dazu gelernt und die Hintergründe etwas studiert, aber leider dominiert mMn. noch immer die Meinungsmache über die seriöse und ausgewogene Berichterstattung.
    Dazu kommt selbst von den Experten inzwischen im Stundentakt eine derartige Kakophonie von Empfehlungen, dass es nicht schwer ist, jeden Tag für jede beliebige Meinung eine Expertenempfehlung zu erhalten. Man muss eben entweder zum IFO oder zum Rat der Wirtschaftsweisen oder zur Not zu einer der vielen WIWI-Fakultäten irgendwo im Land.
    Bundestagspräsident Lammert hat das dieser Tage zu Recht kritisiert.

    AntwortenLöschen
  4. Ich glaube schon, dass Merkel & Co. immer ziemlich genau wissen, was sie untrerschreiben. Dafür haben die halt sehr, sehr viele Mitarbeiter, die sehr, sehr lange diese Verträge/Vereinbarungen ausarbeiten. Dass die Medien teilweise erst Tage später die Tragweite verstehen, würde ich jetzt Merkel & Co. nicht vorwerfen.

    Gerne, mehr Zeit, klar! Aber offenbar gibt es auch Konferenzen, die dringend Ergebnisse produzieren müssen. Bei Zusammenbruch von Lehman Brothers erinnere ich mich, dass vor dem Start der Tokio-Börse eine Einigung gefunden werden musste, da sonst ein riesen Crash bevorstand.

    Und Lammert ist eh ein Held! (-:

    AntwortenLöschen
  5. Zeitdruck gilt nicht!
    Sorry, das ist kein Argument. Wenn die Finanzmärkte meinen, sie müssten kollabieren, bevor die gesetzgeberischen Prozesse rechtsstaatlich korrekt durchlaufen sind, dann sollen sie doch. Ich bin der erste, der ihnen ein fröhliches "good riddance" hinterherruft. :-)
    Aber ganz im Ernst: Es darf nicht die Frage sein, ob wir genug Zeit haben z.B. für eine ordentliche Prüfung durch das BVerfG. Die Zeit müssen wir uns nehmen. Und wenn das kostet, dann kostet es halt. Das sind nunmal die Opportunitätskosten eines Rechtsstaats.

    AntwortenLöschen