Montag, 13. August 2012

LONDON 2012 

Was für eine launige Schlusszeremonie!
Waren das tolle Spiele in London? Und ob! Diese XXX. Olympischen Sommerspiele der Neuzeit, wie sie offiziell heißen, bereiteten Milliarden Menschen viel Freude. Es gab fantastische Wettkämpfe mit 44 Weltrekorden, große Emotionen bei Siegern und Besiegten.

Sicherlich waren die Spiele nicht ganz so monströs-gigantisch wie noch vor vier Jahren in Peking, dafür konnten die Organisatoren mit ihrem legendären britischen Humor dem Ereignis eine ganz besondere Note geben.

Nur vier der vielen unvergesslichen Höhepunkte:


Aber bei uns wird am meisten über das vermeintlich schlechte Abschneiden der Deutschen diskutiert. Uff. Und das sogar mit teilweisen peinlich-lächerlichen Argumenten. Ich fasse kurz paar Eindrücke zusammen, die man in dieser Zusammenstellung so wohl nur in Deutschland machen kann.

  • Da ziehen Journalisten die Zielvereinbarungen (dazu gleich mehr) ins Lächerliche, beklagen dann aber am nächsten Tag eine zu geringe Ausbeute an Medaillen.
  • Einige lehnen eine Fixierung auf Medaillen strikt ab, jubeln aber am lautesten über überraschendes Gold, Silber oder Bronze.
  • Andere Anti-Medaillen-Fixierer zitieren aus der Zielvereinbarung. Aber nur Zahlen. Und den Lesern werden Hintergründe und Zusammenhänge verschwiegen.
  • Und die, die sonst jederzeit das ganze deutsche öffentlich-rechtliche Rundfunksystem infrage stellen, fordern nun lautstark, ARD und ZDF müssten mehr Geld in den Breitensport stecken.

Ich bin mir sicher, es lohnt sich, einmal genauer hinzuschauen. Paar Zahlen und Einschätzungen für Statistik-Freaks wie mich. Fangen wir mit den ominösen Zielvereinbarungen an. Einige Punkte dazu:


Die Zielvereinbarungen und Ergebnisse unserer London-
Athleten. (Quellen: sid, eigene Berechnungen)
Erstens handelt sich um ein Papier zwischen dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und seinen Fachverbänden, nicht um den „CSU-Plan für Olympia“ oder die „Vorgaben des Bundesinnenministeriums“. Vor allem ist es kein Papier des für den Sport zuständigen aktuellen Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich. Der war bei Unterzeichnung des Papieres vor vier Jahren gerade einmal stellvertretender Vorsitzender der CDU/CSU-Bundestagsfraktion. Innenminister war damals ein gewisser Wolfgang Schäuble.
Zweitens: Die Diskussion um das Abschneiden des „Team Deutschland“ gibt es schon seit es Olympische Spiele gibt. (Übrigens nicht nur bei uns.) Als Konsequenz aus den letzten beiden enttäuschenden Spielen wurde das Sportfördersystem in unserem Land umgestellt. Ein Baustein ist diese Vereinbarung. Und die Ergebnisse aus London zeigen nun ja in die richtige Richtung. Hier wäre vielleicht auch einmal ein Lob angebracht.

Drittens: Sportarten, die schlecht abschneiden, müssen nicht – wie oftmals berichtet – mit dem Wegfall oder einer starken Kürzung ihrer Förderung rechnen. Es kann vielmehr sogar sein, dass diese Sportart nach einer umfangreichen Analyse mehr Mittel bewilligt bekommt. Das war früher anders.

Viertens: Klar, es war sehr unklug die Veröffentlichung des Papiers verhindern zu wollen – gerade auch von Hans-Peter Friedrich. Dass das Papier dann pünktlich am Ende der Spiele seinen Weg in die Öffentlichkeit findet, blamiert die Verantwortlichen. So kann jetzt jeder die nackten Zahlen (Vorgaben zu Ergebnisse) vergleichen. Eine grandiose Steilvorlage für den deutschen Hang, sich selbst zu kritisieren. Wäre der Bericht schon Monate vorher bekannt und diskutiert worden, die Aufregung um das Verfehlen der Medaillenziele wäre jetzt nicht mehr so groß.

Fünftens: Und hey, da stehen in der Vereinbarung Ziele drin. Mit konkreten Zahlen. Na und? Das ist nun einmal ein Wesenszug des Sports. Man kann ihn messen. Sogar ganz konkret in Gold, Silber und Bronze. Das ist ein, vielleicht sogar der entscheidende Unterschied zur Kunst und zur Kultur. Diese Ziele waren vor Jahren, als die Vereinbarungen fixiert wurden, nicht völlig aus der Luft gegriffen. Als Beweis kann man die Leichtathletik nehmen. In Peking gab es nur eine einzige olympische Medaille. Diesmal sollten es acht werden. Und es wurden – acht.

Der erweiterte Medaillenspiegel (Auszug). Im
Vergleich kann sich die Bilanz sehen lassen.
Es liegt in der Natur der Sache, dass einige Sportarten auch mal schlechter abschneiden. Es ist menschlich vollkommen nachvollziehbar, dass – wenn es über Jahre hinweg gut läuft und man in einer Disziplin führend ist – andere Nationen irgendwann den Rückstand aufholen, weil sich andere, innovative Trainingsmethoden durchsetzen oder auch nur mal ein Athleten-Jahrgang nachrückt, der nicht ganz so viele Talente hervorbringt. Diese Erfahrung musste beispielsweise auch schon der deutsche Fußball machen. Erst ein Debakel bei der Europameisterschaft im Jahr 2000 konnte Strukturen innerhalb des Verbandes aufbrechen und neue Erfolge ermöglichen. Die deutsche Leichtathletik lag vor vier Jahren quasi in Schutt und Asche, konnte sich aber nun deutlich erholen. Nun hat es mit voller Wucht die Beckenschwimmer, die Schützen und die Springreiter erwischt. Die Gründe hierfür sind in erster Linie in den Sportarten selbst zu suchen.

Natürlich zählen nicht nur die Medaillen. In vielen Sportarten gibt es zum Schluss immer Finals. Meist qualifizieren sich die besten acht Teilnehmer des Wettkampfs für diese Endrunden. In vielen Sportarten wird ein Finaleinzug von den Athleten bereits als Erfolg gewertet. Ob man dann selbst in den Kampf um Gold, Silber und Bronze eingreifen kann, ist oft von der Tagesform oder auch nur von Glück abhängig. Deswegen ist eine Auflistung aller Platzierungen unter den ersten acht sinnvoll. Deutschland ist in dieser breiter ausgelegten Statistik mit China und Großbritannien nahezu gleichauf.

Medaillenspiegel, wenn man die Medaillen
in Relation zu 1 Million Einwohnern nimmt.
Aber gehen wir ins Detail. Auffällig stark waren in den Finals die USA und China, also die beiden Nationen mit den meisten Goldmedaillen. Die größte Häufung ihrer Einzelplatzierungen gibt es tatsächlich in der Gold-Spalte – das schafft niemand sonst. Im Vergleich scheidet Deutschland am besten auf den Rängen fünf und sechs ab. Aber Achtung: Mein Eindruck ist, dass die Voraussetzungen in den einzelnen Disziplinen doch sehr verschieden sind. Es wäre zu platt, wenn man konstatiert, nur die USA und China hätten den richtigen Biss.

Aussagekräftig ist auch der Staaten-Vergleich, wenn man den Medaillenspiegel in Relation zur Bevölkerung stellt. Da können sich zwar kleine Karibikstaaten mit ihren „Wunderläufern“ weit oben platzieren, Deutschland liegt hier aber in einem guten Umfeld vergleichbarer Nationen wie Russland oder Frankreich. Deutlich besser sind beispielsweise Australien, die Niederlande und Großbritannien. Aber Italien, Spanien, selbst die USA, Japan und China liegen dann doch sehr weit zurück.

Bei aller Kritik an einzelnen Disziplinen oder dem Fördersystem insgesamt: Die London-Spiele markieren eine Trendwende. Erstmals seit 1992 wurden wieder mehr Medaillen gewonnen. Der Hauptgrund für den weltweit beispiellosen Einbruch in den letzten zwei Dekaden ist ja ein eigentlich sehr positiver – die Deutsche Einheit. In Zeiten des Kalten Krieges nutzten beide deutsche Teilstaaten  den Sport, um im Kampf der Systeme ihre Leistungsfähigkeit unter Beweis zu stellen. 1992 in Barcelona profitierte Deutschland auch noch ein letztes Mal von den umstrittenen Ausbildungssystemen der untergegangenen DDR – Doping inklusive.

Im Zeitverlauf sticht die enorme Entwicklung Großbritanniens hervor. Nach katastrophalen Spielen in Atlanta 1996 hat sich das Königreich durchgehend verbessert. Den Aufstieg Chinas zu einer Sportmacht muss man dagegen vor allem mit ihren Heim-Spielen in Peking vor vier Jahren verknüpfen.

Im Zeitverlauf (Gesamtmedaillen) wird deutlich:
Heim-Spiele haben einen großen Effekt.
Mit Blick auf die australische Bilanz rund um Sydney 2000 merkt man, dass eine gewissenhafte Förderung von Talenten im Hinblick auf Olympische Spiele im eigenen Land auch acht  Jahre später noch wirksam ist. Doch ewig hält dieser Effekt nicht an; damit müssen sich spätestens ab jetzt die chinesischen und britischen Sportfunktionäre auseinandersetzen.

Erstaunlich konstant sind die Ergebnisse unserer Nachbarn Frankreich und Niederlande. Mich würde es nicht überraschen, wenn Deutschland sich in Zukunft ähnlich stabil entwickelt und durch kluge Sportförderung in etwa das Niveau der Jahre 2004 bis 2012 hält.

Kurz vor, während und kurz nach Olympischen Spielen ist der Ruf nach größerer finanzieller Unterstützung für den Sport seitens des Staates groß, ja sogar populär. Geht aber etwas Zeit ins Land, vermelden Arbeitsämter neue Erwerbslosen-Statistiken oder stehen in den Parlamenten neue Haushaltsrunden an, wird es um den Breiten- und Spitzensport schnell ruhig. Ich bin sehr gespannt, ob die gleichen Vertreter in Sport, Politik und Medien, die jetzt lautstark trommeln, bald noch vernehmbar sind. Ich bleibe dran.

Den größten Schwung für die Zukunft von Deutschlands Athleten würde aber etwas ganz anderes bringen: Bewerbt Euch endlich um die Olympischen Sommerspiele in Berlin 2024 oder 2028! Von London lernen, heißt Siegen lernen.


tl;drDie Olympischen Spiele in London waren großartig. Und die Deutschen sollten sich über das Abschneiden ihrer Sportler freuen. Die waren nämlich gar nicht so schlecht.


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